Module, Zertifikate & Co.

Varianten der curricularen Integration von Data Literacy

Vorkenntnisse: keine
Vorkenntnisse: vorhanden
Curriculare Einbindung
Zertifizierung
Micro Credentials
Interdisziplinarität
Viele Programme zur Vermittlung von Datenkompetenzen werden als Schlüsselqualifikation angeboten, entweder in einem curricular integrierten Bereich oder extracurricular. Für die Nachfrage seitens der Studierenden ebenso wie für die tatsächliche Verankerung von Datenkompetenzen in Fächern und Studiengängen ist eine Einbindung in bestehende curriculare Module und Veranstaltungen wünschenswert. Der Beitrag zeigt systematisch verschiedene Varianten der extra- und intracurricularen Integration auf.
von

Andreas Hütig

Beschreibung

Lehrangebote zu Data Literacy bestehen zumeist aus spezifisch und eigenständig konzipierten Veranstaltungen beziehungsweise Veranstaltungssequenzen oder bieten verschiedene Materialien zum Selbststudium, etwa Videoeinheiten oder Worksheets. Die Frage einer Kreditierung und Zertifizierung des geforderten Workloads ist dabei jedoch unabhängig von der Organisation der Kurse, der anbietenden Institution und der Lehr-Lern-Situation zu betrachten.

Systematisch gesehen gibt es vier Möglichkeiten, wie Data-Literacy-Angebote zu curricularen Anforderungen stehen. Sie können vollständig extern, extern mit curricularen Anteilen, curricular mit externen Anteilen oder vollständig curricular sein.

Ein vollständig extracurriculares Modell liegt vor, wenn alle Kurse und Angebote seitens einer zentralen Einrichtung oder anderer fachexterner Institutionen angeboten oder koordiniert werden und den Studierenden (nur) als extracurriculare Zusatzqualifikation angerechnet werden können. Auch fachnahe, aber zum Beispiel durch laufende Akkreditierungsprozesse noch nicht curricular integrierte Angebote können ähnlich arbeiten. In der Regel werden aber auch alle solche Angebote in einer geeigneten Weise bescheinigt, sei es durch einen Eintrag ins Transcript of Records, einen Badge etwa in einem Learning Management System (LMS) wie Moodle oder durch die Verleihung eines Micro-Degrees (siehe auch den Beitrag von Le Thi in dieser Publikation).

Für Programme, die zum Beispiel modular gestuft sind oder verschiedene Kompetenzbereiche abdecken und die ganz durchlaufen werden, kann auch – unabhängig von der anbietenden Institution – ein Zertifikat ausgestellt werden, je nach rechtlicher Grundlage sogar auf Basis einer eigenen Prüfungsordnung. Das rheinland-pfälzische Hochschulgesetz etwa räumt Hochschulen die Möglichkeit ein, für bereits immatrikulierte Studierende zusätzliche Zertifikatsstudiengänge anzubieten.

Für solche Angebote und selbst ein solches Zertifikat ist es – zweite Variante, extern mit curricularen Anteilen - nicht notwendig, dass die Angebote vollständig extracurricular sind oder aus übergreifenden Quellen stammen. Studierende könnten zum Beispiel datenspezifische Kurse aus ihrem Kerncurriculum, etwa Kurse zu Methoden der Datenanalyse in den Sozialwissenschaften oder solche zu Kenntnissen in bestimmten Programmiersprachen aus technischen Studiengängen, in die Anforderungen des Zertifikatsstudienganges einbringen, gerade weil beziehungsweise wenn es sich um einen eigenständigen (Zertifikats-)Studiengang handelt. Eine solche Teilintegration entlastet die überfachlichen Anbieter, vermeidet Redundanzen und erleichtert den Studierenden den Erwerb, setzt aber einen gewissen Koordinations- und Anerkennungsaufwand voraus: Dass spezifische Kurse eingebracht werden können, muss geprüft und formal bestätigt werden und bedarf einer rechtssicheren Grundlage.

Bei der dritten Variante handelt es sich um das Einbringen externer Data-Literacy-Angebote in Curricula, etwa als Teil fachorientierter Methodenmodule oder in Wahlpflicht- oder Schlüsselqualifikations- und Soft-Skills-Bereiche. Dies kann in Form einzelner Modulbausteine, als Bündelung von aufeinander abgestimmten Kursen oder in Form kleinerer Einheiten geschehen, etwa mit dem Konzept des Microlearnings (Hug, 2018) oder als sogenannte Learning Nuggets. Dieser Begriff bezeichnet kleine Lerneinheiten, etwa in Form von kurzen (zum Beispiel ≤ 10 Minuten) Videoeinheiten mit didaktischer Rahmung (zum Beispiel einem Quiz oder Dialogkarten etwa aus dem H5P-Toolkit), die von Lehrenden in anderen Veranstaltungen eingebaut oder von Lernenden selbstständig abgerufen werden können.

Bei der voll integrierten Variante schließlich wird Data Literacy als integraler Teil eines fachlichen Curriculums oder als Pflicht- beziehungsweise Wahlpflichtangebot innerhalb eines entsprechenden modularen curricularen Fensters angeboten. Eine solche Vorgabe ist an einigen Hochschulen in allen Studiengängen verankert, an anderen nur in solchen Fächern, die sich dafür entscheiden und entsprechende (Wahl-)Bereiche vorsehen beziehungsweise über Kooperationsverträge absichern. In den programmatischen Referenztexten der Data Literacy werden die Möglichkeiten für diese letzte Variante angesichts voller Curricula eher als problematisch eingeschätzt (Ridsdale et al., 2015). Als Lösungsweg wird die Integration von Datenkompetenzen in bestehende Angebote mit überfachlicher Ausrichtung skizziert. Auch Interdisziplinarität und Multiprofessionalität werden als erforderlich genannt (Schüller et al., 2019). Volle Curricula wie interdisziplinäre Anforderungen sprechen tendenziell aber sogar eher für eine externe Bündelung von Angeboten. Werden datenorientierte Inhalte in bestehende Module oder Strukturen zugeliefert, kommt nämlich gerade der für Interdisziplinarität wichtige Austausch nicht selten zu kurz.

Voraussetzungen & Zielgruppen

Die eben systematisch entwickelten möglichen Angebote hängen auch von den institutionellen Voraussetzungen ab beziehungsweise werden durch diese präformiert. Existiert bereits eine zentrale Einrichtung mit entsprechenden Kompetenzen und Ausstattungen, etwa ein Methodenzentrum, ein eigenständiges Studium generale oder ein Institut für Schlüsselqualifikationen, ist sowohl ein unabhängiges Angebot möglich als auch ein Bespielen unterschiedlicher Varianten etabliert beziehungsweise leichter aufzubauen. Wird Data Literacy eher projektgebunden oder im Rahmen von programmatischen, fachnahen oder fachgruppenspezifischen Initiativen ohne eigene institutionelle Basis angezielt, so beruht vieles auf der Grundlage einzelner Engagierter oder gut vernetzter Gruppen. Das Standing solcher Einrichtungen oder Initiativen innerhalb der jeweiligen Hochschule spielt zusätzlich eine Rolle.

In didaktischer Hinsicht lassen sich Datenkompetenzen in allen Varianten fördern. Ein gestuftes und auf Kompetenzrahmen abgestimmtes Angebot besitzt dabei natürlich die größte Kohärenz und Konsistenz. Aber Grundkompetenzen oder auch einzelne höherstufige Skills lassen sich gezielt entwickeln und mit Erfolg in fachbezogene Methodenausbildungen einbringen. Durch zeitgemäße Angebote des Microlearning kann Data Literacy auf einfachem Wege in viele Kontexte gelangen; die didaktische Herausforderung ist hier natürlich die passende Segmentierung und Reduktion sowie die mediale und methodische Umsetzung. Rechtlich benötigen einige der vorgestellten Varianten eine eigene Legitimation zum Beispiel durch ein Landesgesetz oder einen Kooperationsvertrag zwischen den beteiligten Einrichtungen oder Personen. Deputatsfragen und solche der Finanzierung kommen hinzu, wenn über curriculare Angebote hinaus Lehre notwendig wird. Das Vorliegen einer zentralen Vorgabe für Wahlbereiche oder -module beruht darüber hinaus auf Entscheidungen der Hochschule insgesamt beziehungsweise einzelner Fachbereiche oder Fakultäten mit gemeinsamen Ordnungen oder strategischen Ausrichtungen. Insofern ist dies auch eine Angelegenheit mit weitergehenden hochschulpolitischen und strategischen Aspekten. Im Rahmen von Studiengangsentwicklungsprozessen und für eher flexible Curricula, wie sie angesichts der Wissensdynamik der Gegenwart vielerorts angestrebt werden, bietet sich vermutlich die Möglichkeit einer Integration von Data Literacy und anderen Future Skills an vielen Standorten an (Seidl & Michel, 2021).

Die Zielgruppen der genannten Varianten lassen sich nicht exklusiv abgrenzen. Data Literacy hat in jedem Fall einen überfachlichen Anteil, ist aber natürlich auch fachnah spezifiziert zu konzipieren und zu unterrichten. Daher lässt sich nicht generell eine Variante einer bestimmten Zielgruppe zuordnen. Dennoch werden eigenständige Zertifikate einerseits und Microlearning-Angebote andererseits vermutlich am ehesten Studierende solcher Studiengänge ansprechen, die nicht schon eigene umfangreiche Methoden im Fach lernen oder ohnehin datenanalytische Inhalte integrieren. Auf der anderen Seite könnten Studierende datennaher Studiengänge möglicherweise besonders an datenethischen oder datafizierungsreflexiven Themen interessiert sein.

Für Studierende aus stark auf unmittelbare Arbeitsmarktrelevanz ausgerichteten Studiengängen ist die Zertifizierung in der Regel wichtig und ein extrinsischer Motivationsfaktor. Genauso kann sie es aber für Studierende werden, die ein Fach ohne klare Berufsbildung studieren und die ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt dadurch verbessern wollen. Oft ist eine vorsichtige Abwägung der Auswirkungen für Selbstverständnis, Finanzierung und Außenwirkung nötig, ob sich Data-Literacy-Angebote stark über die Förderung der Employabilty oder auch für spezifische Fachkulturen (etwa im Bereich Digital Humanities) profilieren wollen oder ob eher generelle Kompetenzen für die digitalisierte und datafizierte Gegenwart und Zukunft angestrebt werden.

Erkenntnisse & Erfahrungen

Für die Etablierung von Data-Literacy-Angeboten gleich in welcher Variante ist eine Unterstützung durch die Hochschulleitung - beziehungsweise durch vergleichbare Instanzen auf einer anderen Ebene, zum Beispiel durch einen Fachbereich - ein starker Faktor. Diese muss nicht einmal in finanzieller oder personeller Hilfe bestehen – Wohlwollen, ideelle Unterstützung und explizite Empfehlungen können bereits wichtige Effekte haben. Offensichtlich ist dies für Varianten mit hochschulpolitischer oder zumindest weitreichender Relevanz wie die Einführung bestimmter Studienmodelle mit Wahlbereichen oder Zertifkatsstrukturen. Aber auch eine anerkennende, offen kommunizierte Haltung gegenüber neuen Angeboten hilft bei der Akzeptanz auch in Studiengängen beziehungsweise Einrichtungen, die Data Literacy bisher wenig aufgeschlossen gegenüberstehen. Die Herausstellung eines tatsächlichen, benennbaren Mehrwerts oder eines emergenten Feldes wie der Digital Humanities hilft dabei gerade gegenüber solchen skeptischen Adressaten oft mehr als der übermäßige Verweis auf Employability, Future Skills oder die Forderung agiler Curricula, so hilfreich Handlungsempfehlungen aus solchen Diskursen (4.0, 2018) gleichwohl sein mögen.

Oftmals können die lokalen Hochschulverwaltungen, insbesondere Fachabteilungen oder Dezernate für Hochschulentwicklung, Hinweise auf curriculare Möglichkeiten und eine Unterstützung bei der Integration bieten. Im Vorfeld von (Re-)Akkreditierungsverfahren können geeignete Angebote unterbreitet und vereinbart werden, wenn passende Zeitpunkte und Ansprechpersonen bekannt sind.

Ein Netzwerk von Anbietern und Nachfragern aus der Hochschule sowie starke Partner aus dem regionalen Umfeld helfen darüber hinaus dabei, das Angebot attraktiv zu machen und eine kritische Masse zu erreichen. Dies können zum Beispiel wissenschaftliche Einrichtungen wie Akademien, Forschungs- oder An-Institute, Museen oder NFDI-Konsortien sein, aber auch Praxispartner wie kommunale Einrichtungen oder Akteur:innen aus Wirtschaft oder Zivilgesellschaft. Für die Integration in hochschulische Angebote braucht es dann aber natürlich häufig institutionelle Anker zum Beispiel für die Anerkennung von Praxisleistungen in Projekten oder für die Erteilung von Lehraufträgen.

Die Etablierung einer zeitgemäßen Data Literacy Education an Hochschulen hat vielfältige Formen angenommen. Dabei stellen sich Fragen der hochschulpolitischen Strategie ebenso wie solche der Curriculumsgestaltung und -entwicklung, der Vernetzung und der inhaltlichen wie didaktischen Fokussierung des Angebots. Je nach institutionellem, curricularem und didaktischem Setting sind vielfältige Möglichkeiten der Einbindung in bestehende Angebote oder der Zertifizierung denkbar. Abschließend sei angemerkt, dass dabei die Aufgabe auch darin besteht, die Bedeutung von Datenkompetenzen angesichts von Digitalisierung und Datafizierung in Wissenschaft und Gesellschaft in der konkreten Lehre ebenso wie gegenüber anderen Stakeholdern herauszustellen. Kritisch gewendet stellen aber natürlich auch Datenkompetenzen allein noch keine hinreichende Befähigung zur autonomen Teilhabe an der Gesellschaft der Gegenwart dar.

Autorenprofil

Dr. Andreas Hütig studierte Philosophie, Politikwissenschaften, Literaturwissenschaften und Jura an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und promovierte dort mit einer kulturphilosophischen Arbeit. Neben seiner Arbeit für die Bürger:innenuniversität des Studium generale der JGU Mainz und neben der interdisziplinären Lehre dort koordiniert er die überfachlichen Lehrangebote im Bereich Data Literacy an der JGU. Sein besonderes Interesse gilt dabei datenethischen Fragen und der Reflexion von Datafizierung und Digitalisierung in Bildung und Gesellschaft.

Literatur

4.0, A. C. (2018). Curriculumentwicklung und Kompetenzen für das digitale Zeitalter: Thesen und Empfehlungen der AG Curriculum 4.0 des Hochschulforum Digitalisierung (Arbeitspapier Nr. 39). Hochschulforum Digitalisierung. https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateien/HFD_AP_Nr39_Empfehlungen_der_AG_4_0.pdf
Hug, T. (2018). Mikrolernen und mobiles Lernen. In C. de Witt & C. Gloerfeld (Hrsg.), Handbuch Mobile Learning. Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19123-8_17
Ridsdale, C., Rothwell, J., Smit, M., Ali-Hassan, H., Bliemel, M., Irvine, D., Kelley, D., Matwin, S., & Wuetherick, B. (2015). Strategies and best practices for data literacy education, knowledge synthesis report. Dalhousie University. https://dataliteracy.ca/
Schüller, K., Busch, P., & Hindinger, C. (2019). Future Skills: Ein Framework für Data Literacy. Kompetenzrahmen und Forschungsbericht (Arbeitspapier Nr. 47). Hochschulforum Digitalisierung. https://doi.org/10.5281/zenodo.3349865
Seidl, T., & Michel, A. (2021). Curriculumentwicklung im Zeitalter der Digitalisierung: Rahmenbedingungen, Herausforderungen, Formate und Inhalte. In H. Digitalisierung (Hrsg.), Digitalisierung in Studium und Lehre gemeinsam gestalten. Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32849-8_24